„Kooperative Betriebe mit klaren Regeln sind die Zukunft des Nahrungsmittelanbaus.“ – Interview mit Perrine Hervé-Gruyer
In „Unser Leben mit Permakultur“ berichten Perrine und Charles Hervé-Gruyer von ihrem Weg von einem kleinen Bauernhof zu einer Permakultur-Farm, die zum Vorzeigemodell wurde. Trotz einiger Anlaufschwierigkeiten arbeiteten die beiden hartnäckig an ihrem Traum und eigneten sich dabei so manches Wissen an, das sie heute gern mit Gleichgesinnten teilen.
Im Interview erzählt Perrine von der Suche nach dem Sinn des Lebens, dem Umgang mit der plötzlichen Aufmerksamkeit und der Vorbildfunktion.
Was war der größte Anstoß, euer altes Leben aufzugeben und aufs Land zu ziehen?
Ich hatte eigentlich einen sehr interessanten Job, der mich intellektuell forderte, dem aber leider der Sinn fehlte. Daher stellte ich mir täglich die Frage nach dem Sinn meines Lebens. Auf der Suche danach fand ich eine bessere Lebensqualität, die mit meinen Werten und dem, was ich für mich und meine Familie für richtig hielt, übereinstimmte.
Habt ihr davor schon von der Permakultur gehört oder euch damit beschäftigt?
Als wir 2003 mit der Farm und dem Ziel der Selbstversorgung begannen, hatten wir keine Ahnung, was Permakultur ist und erst 2008 hörten wir das erste Mal davon, obwohl wir bereits zwei Jahre zuvor zu „professionellen“ Landwirt*innen geworden waren.
Warum hat die Permakultur in euren Augen so einen großen Stellenwert für die Zukunft der Landwirtschaft?
Sie hilft uns bei der Bewältigung des Klimawandels und der Wasserproblematik. Sie lässt uns verstehen, wie Ökosysteme funktionieren und wie wir sie nachahmen können, ohne künstliche Intelligenz einzusetzen.
War es sehr schwierig von Null anzufangen und euch eine Farm aufzubauen?
Wir hatten kaum Wissen über Landwirtschaft. Wir konnten gerade mal eigenes Gemüse in unserem Garten anbauen. Aber das wars dann auch schon. Deshalb haben wir viel herumprobiert und da ging auch öfter mal was daneben. Die einzigen Anhaltspunkte, die wir hatten, stammten aus Büchern oder dem Internet. Dadurch verloren wir viel Zeit und Geld, doch wir mussten schnell dazulernen und alles zum Laufen bringen – denn wir hatten eine Familie zu ernähren. Wir kümmerten uns am Anfang auch nicht um den Boden. Wir wussten nicht mal, dass unser Boden die schlechtesten Voraussetzungen für den Obst- und Gemüseanbau bot. Anfangs hatten wir auch nur ein Haus mit Strohdach und eine Weide. Wir trieben etwas Geld auf, kauften mehr Land und bauten notwendige Betriebsgebäude. Es war also schon eine Herausforderung.
Was war es für ein Gefühl, als die ersten Wissenschaftler*innen/Forscher*innen an eure Tür klopften? Wie geht ihr mit eurer Bekanntheit um?
Das war 2010. Zu dieser Zeit hatten wir schon etwas über Permakultur gelernt und haben auch die ersten Veränderungen hin zur Permakultur gemacht. Wirtschaftlich gesehen wurden die Dinge immer besser und wir konnten sogar etwas Geld verdienen. Obwohl wir wussten, dass die Anwendung von Permakultur auf die Landwirtschaft etwas Besonderes ist (was unseres Wissens noch nie zuvor gemacht wurde), wussten wir nicht, was die Wissenschaftler*innen über den Hof denken würden. Wir waren daher ein wenig ängstlich, nervös und neugierig, aber gleichzeitig bereit, mit ihnen etwas zu tun, das Tausenden von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen helfen könnte.
Anfangs merkten wir nicht viel von unserem „Ruhm“. Wir arbeiteten täglich in den Gärten und das einzige Feedback, das wir über unsere Arbeit bekamen, kam von den Kund*innen und den Wissenschaftler*innen, aber auch von den Auszubildenden, die ab 2009 zu speziellen Schulungen zu uns kamen. Bevor die wissenschaftliche Studie veröffentlicht wurde, sprachen die Medien bereits über die Farm, aber sie war auch Gegenstand einiger Kritik von Leuten, die gegen die ökologische Landwirtschaft in kleinem Maßstab waren. Wenn man mit der Natur arbeitet und täglich die Hände im Dreck hat, bleibt man bescheiden, weil man weiß, dass alles passieren kann und man auch nicht alles kontrollieren kann. Am Ende des Tages sind wir einfach nur Gemüsebäuerin und -bauer.
Was ist es für ein Gefühl, Vorzeigemodell und Vorbild geworden zu sein?
Ich fühle mich nicht wie ein Vorbild. Ich weiß, dass das, was wir erreicht haben, eine Menge Leute inspiriert und ihr Leben verändert hat. Aber wenn man mit der Natur arbeitet und sich mit ökologischer Landwirtschaft beschäftigt, ist die Arbeit nie erledigt. Es gibt immer etwas zu tun.
Ich arbeite jetzt schon seit eineinhalb Jahren nicht mehr auf der Farm, um jungen Landwirt*innen bei ihren Projekten zu helfen. Aber ja: Von der Farm rauszukommen zeigte mir, dass wir wirklich bekannt und ein Vorbild für viele sind. Ich weiß, dass weder wir perfekt sind noch die Farm es ist, daher fällt es mir leicht, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren und so viele Ratschläge wie möglich an die nächsten Generationen weiterzugeben.
Was würdet ihr euch für zukünftige Veränderungen in der Landwirtschaft wünschen?
Die Landwirtschaft in Europa und weltweit ist die ärmste Wirtschaft, wenn man die Kleinbauern berücksichtigt. Dennoch wird sie natürlich benötigt, um die Menschen zu ernähren (und nicht, um Geld für Biokraftstoff oder ähnliches zu verdienen). Aber in Frankreich befinden wir uns derzeit am Scheideweg mehrerer Krisen (Mangel an Landwirt*innen, da die Hälfte von ihnen bis 2030 in den Ruhestand gehen wird; Energiekosten; Rohstoffkosten; Krise bei Bioprodukten; Schwierigkeiten beim Zugang zu landwirtschaftlichen Flächen usw.). Die Ernährungssouveränität ist also in Gefahr. Und es ist eine Herausforderung, neue landwirtschaftliche Betriebe zu gründen und damit einen angemessenen Lebensunterhalt zu verdienen. Aus all diesen Gründen sehe ich die einzige Zukunft in der Landwirtschaft darin, junge (oder weniger junge) Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund in die Landwirtschaft zu lassen. Aber wenn wir wollen, dass die Landwirtschaft wirtschaftlich und menschlich überlebensfähig ist, müssen alle zusammenarbeiten und ihre Produktion in großen Betrieben zusammenfassen, in denen alle Geräte und Ressourcen gemeinsam genutzt werden können, in denen sich die Produktionen gegenseitig ergänzen, in denen die Landwirte zusammenarbeiten usw. Kooperative Betriebe mit klaren Regeln sind die Zukunft des Nahrungsmittelanbaus.
Denkst du, dass sich das Denken/das Bewusstsein über die Methoden der Landwirtschaft geändert hat oder dabei ist, sich zu ändern?
Ja, zum Glück! Regenerative Landwirtschaft und agrarökologische Techniken sind auf dem Vormarsch, und wir sehen jetzt, dass große Betriebe solche Anbaumethoden anwenden. Aber solange die Wirtschaft alle Überlegungen bestimmt, wird es schwierig sein, einen grundlegenden Wandel herbeizuführen. Die meisten Landwirt*innen haben es schwer, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Warum glaubt ihr, steckt die Landwirtschaft nach wie vor in einer so großen Krise, obwohl es Lösungen wie die Permakultur gibt? Warum ist ein Wechsel so schwierig und was muss sich konkret tun?
Veränderungen sind in der Landwirtschaft aus vielen Gründen schwierig: Die Landwirtschaft ist eine Welt für sich, und sie funktioniert nicht wie andere Teile der Gesellschaft. Die Landwirt*innen beobachten sich gegenseitig und es ist schwierig, die Bereitschaft zu zeigen, Dinge anders zu machen. Außerdem ist der Mehrwert bei den meisten Verfahren so gering, dass die Landwirtschaft oft als „armer Teil“ der Wirtschaft angesehen wird (es sei denn, alle Erzeugnisse werden exportiert). Für Landwirt*innen ist es schwierig, sich zu ändern, denn in unserem Bereich kann die kleinste Veränderung enorme Folgen haben und die können schlecht sein. Wenn man finanziell bereits angeschlagen ist, ist es nicht leicht, das Risiko einzugehen.
Was hast du für Ziele, was möchtest du noch erreichen?
Ich möchte dazu beizutragen, dass sich die Art und Weise, wie neue Landwirt*innen in die Landwirtschaft einsteigen, ändert. Meistens ist für sie der Anfang besonders schwer, wenn man die Klimaproblematik, die Energiekrise und die Tatsache bedenkt, dass es zumindest in den ersten Jahren schwierig ist, von der Landwirtschaft zu leben.
Wie ist eure Entscheidung auf das Dorf in der Normandie gefallen?
Die Familie von Charles ist aus der Normandie und ihr Heimatdorf ist nicht weiter von unserer Farm entfernt.
Mit wie vielen Quadratmetern Land habt ihr angefangen, Gemüse anzubauen? Und wie viele Gemüsearten wachsen auf der Farm?
Für unsere Familie haben wir mit etwa 300 Quadratmetern angefangen. Heute verkauft der Hof keine Produkte mehr (und baut daher nicht mehr die gleiche Vielfalt an), aber wir haben früher etwa 500 Sorten Gemüse, Obst und Kräuter verkauft.
Nach welcher Zeitspanne konntet ihr euch von eurer eigenen Ernte selbst ernähren? Wie schnell habt ihr weitere Erfolge gesehen?
Es dauerte etwa fünf Jahre, um über die Runden zu kommen (wir investierten gleichzeitig noch in den Aufbau des Betriebs), aber dank der Studie von 2010 bis 2015 haben wir echte Erfolge erzielt. Vor allem, als wir die Ergebnisse des ersten Jahres erhielten, wussten wir, was wir anders machen mussten, und die Einnahmen stiegen deutlich an.
Wie sah ein üblicher Tag auf dem Hof bei euch aus?
Mindestens zwölf Stunden harte Arbeit während des Frühlings und Sommers. Weniger ist es im Winter. Du teilst deine Zeit auf zwischen Unkraut jäten, ernten, verkaufen, Ackerbau betreiben und dich um die Tiere kümmern.
Was war euer größtes Highlight/schönster Moment in den vergangenen 15 Jahren?
Ich denke, die Tatsache, dass wir als seriös und pragmatisch sowie als Entdecker bzw. Entdeckerin einer (neuen) Art zu wirtschaften anerkannt wurden.
Welchen Ratschlag könntet ihr angehenden Permakulturist*innen mitgeben?
Macht eine Ausbildung, legt eure Hände in den Dreck! Vergewissert euch, dass ihr wirklich ein professionelle*r Landwirt*in werden wollt und ihr euch nicht nur zur Selbstversorgung hingezogen fühlt.