“Mit der Zeit ist jedoch eine kritische Stimme immer lauter geworden.” – Interview mit Valerie Jarolim
Valerie Jarolim ist Autorin von Rebel Plants. Außerdem ist sie Kräuterpädagogin und erklärt in ihren Online-Kursen und Workshops, welche Power in den Pflanzen steckt, die uns tagtäglich umgeben. Egal ob sie auf dem Teller oder in der Gesichtscreme landen, sie bergen unglaubliches Potenzial für Veränderung und ein nachhaltigeres Leben auf unserem Planeten. In einem Interview erzählt uns Valerie Jarolim, was sie antreibt, wie ihre Arbeit aussieht und gibt Tipps zum Sofort-Losstarten in eine pflanzliche Zukunft.
Was ist deine persönliche Geschichte zum Buch „Rebel Plants“?
Ich habe mich während meines Studiums jahrelang sehr intensiv mit den Themen Massentierhaltung, Lebensmittel- und Textilindustrie, Globalisierung etc. auseinandergesetzt. Mit der Zeit habe ich mich dabei selbst verrückt gemacht und musste – auch krankheitsbedingt – auf die Stopptaste drücken. Ich wollte aus dem ganzen negativen Mist etwas Positives herausholen und habe mich habe mich verstärkt alternativen Möglichkeiten zugewandt (solidarische Landwirtschaft, Selbsternteparzelle in Wien, Wildkräuter essen, Kosmetik selbermachen). So konnte ich mich von manchen Industrien, die ich so kritisierte, etwas abwenden. Das hat mir geholfen, mit dem Gefühl der Machtlosigkeit umzugehen. Diesen Zugang gebe ich seit Jahren u. a. als Kräuterpädagogin an andere Menschen weiter. Ich zeige etwa in Kräuterwanderungen und Workshops, wie Wildkräuter als Lebensmittel verwendet werden können. Oder wie man eigene Hautpflege oder Putzmittel herstellt. Mit der Zeit ist jedoch eine kritische Stimme, die sich vor allem gegen mich selbst richtete, immer lauter geworden. Ich hatte das Gefühl, in eine heile Kitsch- und Blümchenwelt geflohen zu sein. Und stellte fest, dass ich vor wichtigen Dingen, die eigentlich die Basis meines Tuns sind und doch meistens unausgesprochen bleiben, die Augen verschlossen habe.
Da musste ich wieder hinschauen, dahin wollte ich zurück, irgendwie back to the roots. Ich glaube, wir sollten alle unseren Fokus wieder vermehrt auf Themen richten, die unangenehm und ungemütlich sind. Mit der Arbeit an meinem Buch habe ich diese Reise zur mir selbst angetreten – für diese Möglichkeit bin ich dem Löwenzahn Verlag unglaublich dankbar.
Woran bist du in deiner Vergangenheit gescheitert? Wie bist du damit umgegangen und wie hast dich wieder aufgebaut?
Beruflich, muss ich sagen, bin ich eine sehr ehrgeizige Person. Ich gebe schon sehr, sehr viel, um das verwirklichen zu können, was ich mir in den Kopf setze. Ich hatte glücklicherweise in den letzten Jahren recht wenig Rückschläge. Auch die Lockdowns, in denen ich von heute auf morgen keine Workshops mehr geben konnte und damit kurzfristig meine gesamte finanzielle Absicherung wegfiel, habe ich dank der Onlinepräsenz und Onlinekurse gut hinbekommen. Ich musste mich allerdings 1,5 Jahre lang mit einer unschönen, rechtlichen Frage auseinandersetzen, die mir persönlich sehr zu schaffen machte. Da hat nicht viel geholfen. Da musste ich einfach durch. Ich habe zum Glück unheimlich starken Rückhalt. Wenn etwas nicht gut läuft, kann ich immer auf meine Familie und meine engsten Freund*innen zählen. Ich versuche die schlechten Phasen als Learning für die Zukunft zu verstehen und mir dabei klarzumachen, dass wieder andere Zeiten kommen. Aus dem erwähnten Erlebnis habe ich viel gelernt. Ich höre viel mehr auf mein Bauchgefühl und bin selbstbewusster und bestimmter bei geschäftlichen Verhandlungen geworden. Ich stehe mehr für mich ein. Ablenkung finde ich in der Natur. Eine lange Bergtour beispielsweise hilft mir, um auf andere Gedanken zu kommen.
In einem Podcast hast du erzählt, dass du als Kind Naturforscherin werden wolltest. Wäre dein kleines Ich heute stolz auf dich?
Schwer zu sagen. Als Kind habe ich mir das, soweit ich mich erinnern kann, sehr romantisch vorgestellt: die ganze Zeit in der Natur sein und Blümchen bestaunen. Ich glaube, mein kleines Ich würde sich eher wundern, wieviel Zeit ich heute beruflich vor Bildschirmen verbringe. Nein, Spaß beiseite, ich arbeite ja nicht forschend, sondern versuche meine Faszination für Pflanzen weiterzugeben und damit, eine Bewusstseinsbildung zu erreichen. Denn oft muss man feststellen, dass man recht wenig über die Herstellung der Lebensmittel weiß. Von der Wiese in den Mund ist ein kurzer Weg. Aber wie sieht das bei einer Tomate, bei Käse oder gar Schinken aus? Ich denke, dass ich in den letzten Jahren einen kleinen Teil beitragen konnte, dass das Bewusstsein für Lebensmittel bei den Menschen in meinem Umkreis geschärft wird. Dasselbe gilt für Kosmetik und andere Güter, die wir täglich nutzen und bei denen wir selten hinterfragen, wie die Produkte entstehen, welche Geschichte sie haben. Im Buch greife ich dieses Thema mit der Bezeichnung „Wenn die Dinge sprechen könnten“ auf. Ich glaube, darauf wäre mein kleines Ich stolz.
Du bist Kräuterpädagogin, gibst Online-Kurse, machst Workshops und schreibst nebenher noch ein Buch. Wie kann man sich einen gewöhnlichen Tag bei dir vorstellen?
Die intensivste Phase des Buchschreibens hatte mit gewöhnlichen Tagen recht wenig zu tun. Das waren 3–4 Monate, die nur aus Schreiben, Schreiben, Schreiben bestanden. Mein Freund hat den Haushalt geschmissen, mich bekocht und ich bin einfach tagein, tagaus vor dem PC gesessen. Ansonsten besteht ein normaler Vormittag aus Büroarbeit – diese teile ich mir mittlerweile mit meinem Freund. Mittags kochen wir gemeinsam – am liebsten natürlich mit Gemüse und Kräutern aus dem Garten. Mittlerweile gibt der Garten auch schon wirklich viel her. Am Nachmittag geht’s dann entweder vor dem PC weiter, ich arbeite an neuen Artikeln und Postings, oder tüftle an Rezepten. An Workshop- oder Drehtagen sieht der Tag schon wieder ganz anders. Was beim Arbeiten aber immer gleich abläuft: es steht eine Kanne Kräutertee neben mir. Da ich von zuhause arbeite und keinen klaren Schnitt zwischen Arbeit und Freizeit habe – wie andere vielleicht einen Nachhauseweg zum Kopf auslüften –, gehe ich nach der Arbeit eigentlich am liebsten entweder zum Laufen in den Wald hinterm Haus oder spazieren. Die Abende verbringe ich am liebsten auf der Couch. Meine Arbeit ist abwechslungsreich und lässt sich sehr flexibel gestalten, das schätze ich. Allerdings hält sich mein Kopf leider an keine Arbeitszeiten und rattert auch dann weiter, wenn ich eigentlich Pause machen sollte.
Was würdest du Freund*innen auf die Frage raten, wie man am besten damit beginnt, die Pflanzen wieder mehr zu schätzen?
Gerade am Anfang kann das alles überfordernd wirken. Man möchte vielleicht gleich Berge versetzen und weiß nicht, wo anfangen. Ich denke, ich würde mir einen Bereich des Alltags herauspicken, der sich am leichtesten ändern bzw. abwandeln lässt. Das kann die Ernährung sein, aber auch die Ausstattung im Badezimmer. Bei diesen beiden Bereichen lassen sich Gewohnheiten meiner Meinung nach am leichtesten verändern. Man kann einfach mal neue Gemüsegerichte ausprobieren, versuchen, mehrere vegetarische oder vegane Tage in der Woche einzulegen. Oder auch: Hautpflege aus pflanzlichen Zutaten selber herstellen und in alte, saubere Glastiegel füllen – und so Schritt für Schritt den Plastikbergen in den Badezimmerschränken ein Ende setzen. Beim Versuch, alles auf einmal umzukrempeln, wird man wahrscheinlich wie bei einer Crash-Diät schnell aufgeben und wieder in alte Muster zurückfallen. Auch bei mir selber war und ist das eine lange Reise. Ich lebe definitiv kein „öko-perfektes“ Leben – wenn ich mich auch bemühe, möglichst klimagerecht zu handeln.
Viele haben keinen eigenen Garten oder Wald vor der Haustüre, sondern nur graue Straßen und viel Beton. Wie kann man im Kleinen die Natur mit ihrer Vielfalt in den Alltag integrieren, ohne in den teuren Biosupermarkt gehen zu müssen?
Tja, da wären wir beim Thema, dass gesunde Lebensmittel eigentlich für alle leistbar sein sollten und wir Konsument*innen erst gar nicht vor der Wahl stehen sollten, ob wir uns „gesund“ und „nachhaltig“ ernähren oder eben nicht. Aber gut. Noch sind wir leider nicht so weit. Noch ist die Möglichkeit, ökologisch handeln zu können, meist ein großes Privileg. Wir brauchen hierfür den Blick eigentlich nur auf die vorangegangene Antwort werfen. Einfache, pflanzliche Lebensmittel können auch günstig sein – ich spreche hier ganz banal von Kartoffeln, Hülsenfrüchten und Kohl. Wenn man etwas über den Tellerrand blickt, lässt sich gerade mit den einfachen Lebensmitteln viel experimentieren und kochen. Oder im Badezimmer: aus Zutaten, die wir in der Küche finden, lässt sich einfache Kräuter-Kosmetik herstellen – oft braucht es dazu gar nicht viel mehr als ein gutes Speiseöl. Im mediterranen Raum beispielsweise wird Olivenöl für die Haut- und Haarpflege von Kopf bis Fuß verwendet.
Warum nimmt deiner Meinung nach das Interesse für alternative Lebensformen stetig zu – sind wir alle gesättigt von Smartphone, Laptop, Medien und Leistungsgesellschaft?
Wir verbringen heute täglich durchschnittlich etwa neun Stunden vor Bildschirmen und digitalen Geräten – sowohl in der Freizeit als auch beruflich. Wir sind von Dauerwerbung, Dauerberieselung und sehr viel Druck umgeben. Gerade Social Media zeigt uns, wie das „perfekte Leben“ auszusehen hat – von Kleidung, zu Ernährung, Freizeit und Wohnen. Kein Wunder, dass es irgendwann reicht und ein Trend rund um Alternativen entsteht. Und da kommt gerade auch die Natur ins Spiel. Draußen sein tut uns gut, die Natur allgemein. Im Wald sind wir anderen Reizen ausgesetzt, werden ganz anders stimuliert – alle Sinne werden angesprochen. Wir können in kindliches Staunen verfallen, können runterfahren und entspannen. Das bestätigen Studien zum sogenannten Waldbaden. Pflanzen und die Natur sind in so vieler Weise eine Lebens- und Erholungsquelle für uns. Und dass sich hinsichtlich Lebensmitteln viele nach Alternativen umsehen – da sei die Direktvermarktung mit CSA, also Community Supported Agriculture, im Bereich Ernährung als Beispiel erwähnt –, oder nach Secondhand-Kleidung, sehe ich als Zeichen, dass bei vielen eine Kritik am kapitalistischen System wächst, das für Klima, Menschen, Tiere (siehe Massentierhaltung) und ganze Ökosysteme verheerende Folgen hat. Viele wollen da nicht mehr mitmachen.